Nostalgischer
Zelturlaub

 

Walter ist seit geraumer Zeit ein großer Nostalgiker. Immer öfter überkommt ihn das Gefühl, alte Fotoalben aus dem Regal zu ziehen und stundenlang darin zu blättern. Weihnachten als Teenager, Abiturabschlussfeier, die Aufnahmen vom ersten Auto, Walter in Bundeswehr-Uniform. Längere Zeit hängen geblieben ist Walter unlängst bei jenen Fotos, die seine ersten Urlaubsreisen dokumentieren. Natürlich verfügte er damals nicht über große Summen an Geld, weshalb er in keinen  Viersterne-Hotels abstieg. Wäre auch viel zu spießig gewesen für einen 24- oder 25-Jährigen. Walter ging  zusammen mit seiner Freundin, die heute seine Frau und Mutter seines Kindes ist, zum Zelten. Als Reiseziele gab es damals schon die Klassiker. Einer davon hieß Lago Maggiore.
 „Zelten am Lago“ – wie das schon wunderbar klingt. In diesen drei Worten steckt mehr Musik drin, als in manchen Songs, die sie heute dem Radiohörer stundenlang zumuten.
„Zelten am Largo“, das klingt nach Leben in Freiheit. Nach zärtlichen Berührungen. Nach Kuscheln und Schmusen. Nach ungezügelter Liebe unter freiem Himmel. Nach Sinnlichkeit und Übermut. Nach Glück und Glückseligkeit.
Zelten am Largo, ach ja!
Nachdem Walter wieder die Augen geöffnet hatte und sein Blick auf das Foto mit ihm und seiner damaligen Freundin fiel, das er noch immer in den Händen hielt, fasste er einen  Entschluss: Er würde seiner Frau den Vorschlag unterbreiten, im Sommer zurück zu den Wurzeln zu schreiten. „Zelten am Largo“ statt Viersterne-Hotel an der Cote d’Azur oder Kreuzfahrt auf der Aida.
Walter hatte mit mehr Widerstand gerechnet. Aber nein, seine Frau war sofort einverstanden. Allerdings verschwieg sie nicht ihre Bedenken. Ob er sich das wirklich gut überlegt hätte, wollte sie von Walter wissen. Wo der doch nicht mehr der Allerjüngste sei und in regelmäßigen Abständen, die zudem 
immer kürzer werden, über körperliche Gebrechen klage.
Das sei schon alles in Ordnung und wohlüberlegt, winkte Walter ab und rief seinen guten Freund an. Der hatte ihm schon damals, vor 25 Jahren das Zelt für diesen Urlaub am Largo Maggiore geliehen. Vielleicht existierte es ja noch. Wie gesagt: Walter wurde mehr und mehr zum Nostalgiker.
Walters Freund hatte eine gute und eine schlechte Nachricht. Die schlechte: Das Zelt gab es nicht mehr. Die gute: Er hatte inzwischen ein neues gekauft...

 

Wie es weitergeht mit Walters Urlaubsplanungen erfahren Sie im Buch
"Alles klar, alter Sack? (Brack-Verlag Altusried) 
 

Sanfte
Hände

 

...nur eine Woche nach Erhalt des Gutscheins beschloss Walter, ihn einzulösen.  Er nahm an diesem Dienstagmorgen, ganz entgegen seiner sonstigen Gewohnheit, nach dem Aufstehen eine Dusche. Nach dem Rasieren griff er zu einem Aftershhave, das schon eineinhalb Jahre im hinteren Eck des Spiegelschranks im Badezimmer stand, bislang aber unberührt blieb.
     Walter fühlte sich wie vor einem Vorstellungsgespräch. Ein bisschen nervös. Aber andererseits auch erwartungsfroh. Immerhin war der Abend kostenlos. Immerhin war diese Thai-Massage ein Geschenk.     Er werde sich fallen lassen an diesem Abend, hatte er sich schon nach der Morgentoilette vorgenommen. Und vielleicht, wer weiß, würden ja auch seine ständigen Rückenverspannungen und die Kopfschmerzen aus seinem geplagten Körper entschwinden.
     Die Dunkelheit hatte schon eingesetzt, es war Anfang Dezember, kurz vor 19 Uhr... Walter hatte seinen Wagen rund zehn Gehminuten vom Massagesalon geparkt. Er wollte sicher gehen, beim Aussteigen und einem möglichen Zusammentreffen mit Bekannten nicht mit dem Thai-Salon in Verbindung gebracht zu werden.       Walter stülpte seine Kapuze des Anoraks über den Kopf, obwohl es  nicht regnete. Dann machte er sich schnellen Schrittes auf den Weg, den Kopf nach unten gesenkt, ein Kribbeln nicht nur in den Fingern. 

   „Helzlich Willkommen“, begrüßte ihn eine Frau Mitte dreißig. „Hell Müllel?“
     „Ja, Walter Müllel ähh Müller“, stellte sich Walter vor, und sein Herz schlug ein bisschen schneller als sonst.
„Zum elsten Mal hier?“, wollte die brünette Thailänderin wissen, die blaue Jeans trug und einen schwarzen Wollpullover, der bis ganz oben unters Kinn reichte. Walter war ein wenig überrascht, antwortete aber schnell: „Ja ja, das ist das erste Mal für mich. Ich habe einen Gutschein bekommen, ähh, von meinen Kollegen.“
   „Du haben Gebultstag?“, wollte die Masseurin wissen.
   „Ja Gebults ähh, tschuldigung Geburtstag.“
   „Na, dann du lassen dich mal velwöhnen!“
   Walter merkte, wie eine leichte Rötung sein Gesicht überzog und folgte seiner Gastgeberin, die ihn in einen Raum mit einer Liege und einem Stuhl führte.
   „Ziehen elst mal die Socken aus“, sagte die Thailänderin, deutete in Richtung Stuhl und forderte ihn auf: „Bitte da setzen.“
    Walter blickte sie fragend an und begann an seinem Hosenbund zu nesteln.
    „Hi hi“, kommentierte die Masseurin seine ersten Handlungen und meinte: „Nur Socken ausziehen und Hosebeine hochziehen.“ Dann verschwand sie aus dem Raum. Walter war irritiert. Nach ein paar Minuten kehrte sie zurück – mit einer Schüssel voll Wasser in der Hand. Die stellte sie vor Walters Füße und bat ihn, sie in die Schüssel gleiten zu lassen. Dann massierte sie Walters Zehen und lächelte.
    Walter begann langsam, sich zu entspannen. Nach zehn Minuten war die 
Fußmassage zu Ende. Walter wurden die Füße abgetrocknet. Danach bat ihn seine Masseurin, es sich bäuchlings auf der Liege bequem zu machen. Aha, es konnte also losgehen. Walter entledigte sich seiner Socken, der Hose, des Hemds, des Unterhemds. Danach wollte er die Unterhose ausziehen.
    „Stopp“, unterbrach ihn die schmunzelnde Masseurin in seinem nun recht forschen Tatendrang, „Untelhose bitte anlassen. Hi hi hi.“  

Wie es weitergeht mit Walter und seiner Thai-Massage erfahren Sie in

Alles klar, alter Sack? (Brack-Verlag Altusried)

Zeichnung: Wolfgang Steinmeyer
Zeichnung: Wolfgang Steinmeyer

„Bitte um neun
Zentimeter wachsen!“


Das moderne Leben im 21. Jahrhundert ist für unsereins, der in absehbarer Zeit seinen 50. Geburtstag feiern (muss), nicht immer leicht zu meistern, wie folgende Geschichte zeigt. Ich weiß nicht, ob Sie das kennen? Hin und wieder macht sich in mir der Wunsch breit, mein Körpergewicht zu überprüfen. Nach einem üppigen Essen selten, eher in jenen Momenten, wenn die Chefin des Hauses ihre berühmten Quarktage durchgezogen hat oder die Familie mit der Neuigkeit überrascht: „Heute begnügen wir uns mit einem frischen Salat zum Mittagessen.“
Ich traf also nach so einer Zwangsdiät den Entschluss, eine Waage zu kaufen. Die alte hatte nach 15 Jahren ihren Geist aufgegeben. Vorneweg: Ich wollte lediglich eine Waage, um mein Körpergewicht zu überprüfen – und um gegebenenfalls korrigierend darauf einzuwirken. Auch nach oben hin, wenn nötig. Das alleine war meine Absicht.
   Ich machte mich an einem freien Nachmittag auf die Suche nach einem geeigneten Produkt. Was gar nicht so einfach war. In den Regalen der Fachgeschäfte stapelten sich hunderte dieser Dinger, was die Entscheidung, zu welcher Waage ich greifen sollte, enorm erschwerte. Zum anderen hatte mir meine Familie ans Herz gelegt, doch bitteschön eine moderne Waage mitzubringen, bei der man nicht nur das Gewicht ablesen könne, sondern auch andere interessante Daten: Körperfettgehalt, Muskelmasse, Kalorienbedarf, die Raumtemperatur oder Luftfeuchtigkeit.
Mein Kauf nahm einen gesamten Nachmittag und den frühen Abend in Anspruch – und insgesamt vier Verkäuferinnen.  
„Multifunktionale, digitale Körperfettwaage“ hieß das Ding, zu dem ich (auf Druck meiner Familie) gegriffen hatte, und so wuchtig diese moderne Wortkonstruktion ist, so kompliziert erwies sich in den Tagen nach dem Kauf für mich die Handhabung desselben.
   Ich wagte gleich nach dem Kauf einen ersten Versuch, stellte mich auf die „Multifunktionale, digitale Körperfettwaage“ und…..nichts passierte.
Das war früher anders. Da drehte sich eine Scheibe mit vielen Ziffern darauf und hielt – in meinem Fall gar nicht so spät (die Diäten meiner Frau lasse ich seit längerer Zeit über mich ergehen) – wieder an. Unter einem Strich war deutlich eine Zahl erkennbar: das Gewicht desjenigen, der auf der Waage stand. Der schaute dann fröhlich (wie ich) oder grimmig drein.
An diesem Nachmittag verfinsterte sich auch mein Blick – weil das Display der „Multifunktionalen, digitalen Körperfettwaage“ zunächst dunkel blieb. Das änderte sich erst nach einem wilden Drücken jener zahlreichen Knöpfe, auf denen Wörter wie „Set“ oder Zeichen wie „>“ und „<“ standen.
Plötzlich blinkte es verdächtig grell und schnell, und irgendwann riet mir die digitale Anzeige, die eine Raumtemperatur von 48 Grad Celsius erkannt haben wollte: Acht Kilogramm abnehmen, Fettgehalt um 15 Prozent senken und Körpergröße bitte um neun Zentimeter steigern! 
                                                Freddy Schissler

 

 Auszug aus dem Buch

"Man(n) kämpft sich durch" (Brack Verlag)

 


RUNDE GEBURTSTAGE
MACHEN MELANCHOLISCH


 

Walter und seine Frau und werden in letzter Zeit immer häufiger zu „runden Geburtstagen“ eingeladen. An für sich kein Grund zu klagen. Und doch merkt Walter, wie ihn diese Einladungen, sagen wir mal, ein bisschen melancholisch machen. Es sind keine Partys, an denen die Protagonisten 30 oder 40 Jahre alt werden. Walters Freunde feiern ihren 50. Geburtstag. Und nicht selten kommt es vor, dass auf diesen Runden-Geburtstages-Feiern Gäste sind, die ihrerseits wieder einen „runden Geburtstag“ vorbereiten – ihren 60. Geburtstag.
Walter und seine Frau verkehren mit Menschen, die die Hälfte ihres Lebens deutlich hinter sich haben. Für die das meiste gelaufen ist. Walter weiß, dass sich das nicht nett anhört. Aber es ist nun einmal so.
Und nachts, wenn Walter wieder zu Hause ist, liegt er noch einige Minuten wach im Bett und zählt die Wochen und Monate, die ihn selbst vom 50. Geburtstag trennen.
Diese 50er-Partys laufen alle nach dem gleichen Muster ab. Man smalltakt zu Beginn mit einem Glas Sekt oder einem Maracuja-Saft (für jene, die im Alter von Alkohol Sodbrennen bekommen) in der Hand, um sich ein bisschen kennen zu lernen. Man erfährt, dass sich Anke seit drei Jahren immer kurz nach ihrem Geburtstag einen Wellness-Urlaub im Bayerischen Wald gönnt; mit Gesichtsbehandlung DeLuxe, Ganzkörperpeeling, Cleopatrabad, Fußreflexzonen- und Nackenmassage, Wohlfühlbad in einer Caracallawanne, Algenganzkörperpackung; mit Welcome-the-day-Frühstücksbuffet, mit knackigen Salaten und Bio-Gemüse zum Abendessen; mit Active Life Care Sport- und Aktiv-Programm am Nachmittag.
Man erfährt, dass Dieter die Liebe zu einer neuen Sportart entdeckt hat. Er golft dreimal die Woche. Weil man da immer an der frischen Luft sei, richtig interessante Leute kennen lerne, zu Fuß unterwegs sei und ganz schön tolle Muskeln in den Oberarmen bekomme.
Man erfährt, dass sich Regina von ihrem Mann getrennt hat. Warum genau, bekommt man nicht heraus. Vermutlich, weil er sich eine jüngere Freundin leistete.    
Noch während des Essens auf diesen 50er-Geburtstagsfeiern beginnen Leute miteinander zu tuscheln. Mal links am Tisch. Dann wieder auf der rechten Seite. Wenn die Tuschelnden merken, dass das Geburtstagskind merkt, dass sie tuscheln, verstummen sie plötzlich, blicken verschmitzt in die Runde, nicken jovial mit dem Kopf und warten darauf, dass sich das Geburtstagskind wieder von ihnen abwendet. Dann tuscheln sie weiter. Wenige Minuten nach dem Essen weiß man, weshalb die Gäste die Köpfe so geheimnisvoll zusammen gesteckt haben: Die ersten Power-Point-Laptops und Beamer werden in Position gebracht. Zeit, mit dem Geburtstags-Vorführprogramm zu beginnen.
Fast jeder der Gäste hat einen Beitrag vorbereitet. Keiner von ihnen trägt einen Dia-Projektor unterm Arm. Das mit den Dias war einmal. Das einst vertraute Knacken, wenn die Führungsschiene am Projektor ein neues Bild in Position brachte. Das Raunen der Gäste, wenn wieder mal ein Bild auf dem Kopf stehend einsortiert war. Oder spiegelverkehrt. Der gleichzeitig erschallende Befehl der Gästeschar, das soeben an die Wand projizierte Bild doch endlich ein bisschen schärfer zu stellen. Heute wirft man Slideshows an die Wand, die wie professionelle Spielfilme wirken, flankiert von Musikprogrammen, die an großes Kino erinnern.
Das Thema freilich ist das gleiche geblieben. Das Geburtstagskind in Aufnahmen von gestern. Als Baby, beim ersten Rollerfahren, in der Schule, beim Tanzkurs. Die Aufnahmen sind fast durch die Bank schwarz-weiß. Das macht Walter, wie gesagt, immer ein bisschen melancholisch und wirft ganz tief in ihm drinnen die Frage auf: Wie lange ist das denn schon alles her?
Wie viele Jahre liegen eigentlich noch vor ihm?
Ob es ihm überhaupt noch zeitlich reicht zu seinem 50. Geburtstag? Oder ob schon zuvor Walters Lichtlein erlöscht.
Ja, solche Gedanken macht sich Walter nach Partys, an denen er doch eigentlich fröhlich sein sollte.
Walter weiß nicht, ob es an ihm liegt. Jedenfalls landet er an diesen Abenden regelmäßig in jenen Gesprächsrunden, die über das genaue Verfallsdatum des Menschen diskutieren. Über auffallende muskuläre Abnutzungserscheinungen, die laut wissenschaftlicher Untersuchungen mit dem Ende des 30. Lebensjahrs beginnen, oder über Aufenthalte im Krankenhaus, die nach Überschreiten des 50. Geburtstages, so die einhellige Meinung der Gesprächsrunde, so sicher kommen wie das Amen in der Kirche....

 

 

Wie es weitergeht mit dem 50er-Jubilar?

Im Buch "Man(n) kämpft sich durch"  erfahren Sie es.